Landesfachbeirat Psychiatrie Niedersachsen: Pressemitteilung zur Vermeidung von Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen
Hannover, 13.02.2025
Pressemitteilung zur Vermeidung von Stigmatisierung von
Menschen mit psychischen Erkrankungen
Der Landesfachbeirat Psychiatrie Niedersachsen (LFBPN), ein Gremium
von weisungsungebundenen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Psychiatrie,
Psychologie, Psychotherapie, Politik, Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen von Menschen
mit psychischen Erkrankungen sowie der Landesbeauftragten für Menschen mit
Behinderungen, äußert sich zu der aktuellen Debatte über psychische Erkrankungen im
Zusammenhang mit den Attentaten und der bevorstehenden Bundestagswahl.
Nach den Attentaten von Magdeburg und Aschaffenburg ist die aktuelle Debatte emotional
aufgeladen: Es wurde gefordert, dass die Gesellschaft vor Menschen mit psychischen
Erkrankungen geschützt werden müsse. Die Innenministerinnen und Innenminister möchten
prüfen lassen, wie Sicherheitsbehörden leichter Informationen zu Menschen mit psychischen
Erkrankungen abfragen können. Der bayrische Ministerpräsident will das Gesetz verschärfen,
das die Unterbringung von Menschen mit psychischen Krankheiten regelt. Und der CDU-
Generalsekretär Carsten Linnemann fordert gar ein Register für psychisch kranke Gewalttäter.
Diese Debatte ist von populistischen Instrumentalisierungen und verzerrten medialen
Darstellungen geprägt. Ein sachlicher Blick auf die Geschehnisse verbietet diese
unreflektierten politischen Forderungen.
Bereits 2022 hat beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie in einer
Übersicht dargelegt, dass nach der Studienlage entgegen der öffentlichen Wahrnehmung
Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht per se gewalttätiger sind als die
Allgemeinbevölkerung.
Gewalt entsteht nach wissenschaftlich fundierten Analysen immer im Zusammenwirken
mehrerer Faktoren. Traumatische Erlebnisse, Missbrauchserfahrungen und Armut gefährden
die psychische Gesundheit vieler minderjähriger Geflüchteter, haben Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen bereits 2020 beschrieben. Eine
unbehandelte psychische Erkrankung in Verbindung mit Substanzkonsum stellt häufig ein
höheres Risiko für Gewalt dar. Daneben spielen soziale Faktoren eine Rolle. Eine fehlende
familiäre Anbindung, soziale Randständigkeit oder Wohnungslosigkeit können den Weg zu
gewaltsamen Handlungen verstärken.
Insofern ist es sachlich falsch, Gewaltkriminalität ausschließlich mit Migration zu
verknüpfen.
Die Einführung eines Registers wird die Stigmatisierung von Menschen mit
psychischen Erkrankungen massiv verschärfen
Die Einführung eines Registers zur Erfassung von Menschen mit psychischen Erkrankungen
wird die Stigmatisierung dieser Gruppe erheblich verstärken. Dies kann dazu führen, dass sich
Betroffene noch ausgegrenzter fühlen und weniger professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen wären
von dieser Entwicklung besonders betroffen.
Unterversorgung von Geflüchteten, Menschen mit Migrationshintergrund und
Menschen mit Behinderungen
Die aktuelle Diskussion macht die eklatante Unterversorgung von Geflüchteten, Menschen
mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen im Bereich der psychischen
Gesundheitsversorgung deutlich. In der stationären psychiatrischen Versorgung und
insbesondere in der Psychotherapie besteht ein großer Nachholbedarf.
Forderungen des LFBPN
Der LFBPN fordert die Politik auf, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und
sich für folgende Punkte einzusetzen:
• Aufklärung: Die Bevölkerung ist über psychische Erkrankungen und deren
Zusammenhang mit Gewalt aufzuklären.
• Prävention: Es müssen mehr Maßnahmen zur Prävention von psychischen
Erkrankungen ergriffen werden.
• Gegensteuerung: Der Stigmatisierung von psychisch kranken Menschen muss
entgegengewirkt werden.
• Verbesserung der Versorgung: Die Versorgung von Geflüchteten, Menschen mit
Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen im Bereich der psychischen
Gesundheit muss verbessert werden.
• Deeskalation: Die seelische Verfasstheit der Menschen mit psychischen Erkrankungen
ist in allen Verfahrensschritten zu berücksichtigen.
• Kooperation zwischen Polizei, Verwaltung und Expertinnen und Experten: Es ist eine
enge Kooperation aller genannten Akteurinnen und Akteure erforderlich.
• Partizipation: Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen müssen
als Expertinnen und Experten in eigener Sache bei Diskussionen und Vorhaben
einbezogen und angehört werden.
Für den Landesfachbeirat Psychiatrie Niedersachsen:
Wolfram Beins
Prof. Dr. Detlef Dietrich
Dr. Wolf Döring
Annetraud Grote (Niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen)
Dr. Ibrahim Özkan
Roman Rudyk
Joachim Scherger
Dr. Claus Wolff-Menzler
Landesamt für Soziales, Jugend und Familie, Geschäftsstelle Landesfachbeirat, Postfach 203, 30002 Hannover