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"Realität verkennen" ist kein Grund für Zwangseinweisung

Was braucht es, dass ein ausreichender Grund für eine Zwangseinweisung und -unterbringung vorliegt? Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass nur die "Realität zu verkennen", keine Medikamente zu nehmen, seinen Nachbarn seltsam vorzukommen und nicht zu Anhörungen zu erscheinen, kein solcher Grund ist. 

 

 

 

Der Beschluss vom 26.05.2020

 

Der Staat hat die Befugnis, Menschen mit psychischen Krankheiten zwangsweise in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen, wenn diese aufgrund ihrer Krankheit, und der damit verbundenen mangelnden Krankheitseinsicht, den Schweregrad ihrer Erkrankung und die Notwendigkeit einer Behandlung nicht erkennen können, aber nur dann, wenn sie von einer „gewichtigen gesundheitlichen Schädigung“ bedroht sind. Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann von diesem Mittel nur in sehr schwerwiegenden Fällen Gebrauch gemacht werden und auch nur, wenn die Zwangsbehandlung ohne weitere Eingriffe in die Grundrechte erfolgen kann.

 

Hintergründe

 

Eine Frau hatte nach einer zwangsweisen zwölfwöchigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, da es ihr im Grundgesetz festgelegtes Recht auf Freiheit massiv verletzte. Eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie wurde bereits 1998 diagnostiziert. Nachdem sie vier Jahre keine Medikamente genommen hatte, gab es Hinweise, dass die Symptome sich verschlimmerten, u.a. gab es ein paar unverständliche Anträge bei Gericht und Beschwerden von den Wohnungseigentümern. Sie wurde zu mehreren Anhörungen eingeladen, erschien aber nie. Im Juni 2019 wurde sie nach einem Beschluss des Amtsgerichts zur Untersuchung in einer psychiatrischen Klinik eingeliefert. Einem Kurzgutachten des Assistenzarztes Dr. M. zufolge, welches bei der Einlieferung in die Klinik erstellt worden war, „verkannte sie die Realität“ und das stellte eine „Selbstgefährdung“ dar, obwohl sie sich eindeutig von „akuter Suizidalität“ distanzierte. Daraufhin ordnete das Amtsgericht eine Unterbringung an. Ein Sachverständiger bestätigte Wahngedanken und Halluzinationen und ging von der Notwendigkeit einer Einweisung aus, da sonst die Gefahr bestehe, dass sich ihr Zustand chronifiziert. Außerdem wäre es möglich, dass es dadurch zu einer vorzeitigen Demenz käme. Der behandelnde Arzt Dr. B. und ein Sachverständiger Dr. G. kamen zu ähnlichen Schlüssen.

 

Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts

 

  1. Voraussetzung der Unterbringung nach §1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht erfüllt:

Bei dem Kurzgutachten des Dr. M. blieb unklar, worin genau die „Selbstgefährdung“ der Patientin bestehen würde, allein die „Verkennung der Realität“ reicht dafür nicht aus. Der behandelnde Arzt Dr. B. führte die mögliche Demenz an, aber auch das spreche eigentlich nur für die grundsätzliche Notwendigkeit einer Heilbehandlung, nicht aber für eine Zwangsunterbringung.

 

  1. Voraussetzung der Unterbringung nach §1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht erfüllt:

Eine Zwangsunterbringung muss erfolgversprechend sein und durchzuführen sein, ohne dass weitere Grundrechte verletzt werden. Allerdings war anzunehmen, dass auch diese Behandlung nicht ohne weiteren Zwang vorzunehmen sei. Es handelte sich also bei der Unterbringung und Zwangsbehandlung um eine doppelte Verletzung der Grundrechte.

 

  1. Es gibt keine Dringlichkeit:

Das Landgericht nahm an, dass kein Aufschub der Behandlung möglich gewesen sei, allein aufgrund der Vorgeschichte der Patientin. Die Patientin war seit Jahren nicht mehr ärztlich behandelt worden und schien einen erneuten wahnhaften Schub zu erleiden. Die Tatsache, dass sie allerdings schon so eine lange Zeit ohne Behandlung ausgekommen ist, spricht eher gegen die Dringlichkeit einer Behandlung. Das Landgericht hat geurteilt aufgrund mangelnder Sachaufklärung.

 

Auszug aus dem BGB: Buch 4 – Familienrecht, Abschnitt 3 -Vormundschaft, Rechtliche Betreuung, Pflegschaft:

§ 1906
Genehmigung des Betreuungsgerichts bei freiheitsentziehender Unterbringung und bei freiheitsentziehenden Maßnahmen

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

 

1. 

auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder

 

2. 

zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, die Maßnahme ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht unverzüglich anzuzeigen.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

(5) Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines Bevollmächtigten in Maßnahmen nach Absatz 4 setzen voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätzen 1 und 4 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

 

 

Zusammengefasst aus:

Recht und Psychiatrie 4/2020, S.218-221

Erhältlich unter: https://psychiatrie-verlag.de/product/rechtsprechung-aus-rp-4-2020/

Und dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes. Zu finden unter:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rk20200526_2bvr152919.html

Und Auszügen aus dem BGB von der Seite dejure.org:

https://dejure.org/gesetze/BGB/1906.html

 

Hinweis:

Hier finden Sie einen weiteren informativen Artikel zum Thema.