Matthias Seibt ist seit 32 Jahren aktiv in der Selbtshilfebewegung Psychiatrie-Erfahrener. Er ist Vorstandsmitglied im BPE sowie im Landesverband der Psychiatrieerfahrenen NRW und sprach mit mir (Johanna Rothe) über den Kampf gegen ambulante Zwangsbehandlung heute und vor zwanzig Jahren.
JR: Es ist nicht das erste Mal, dass der BPE gegen Versuche kämpft, ambulante Zwangsbehandlung gesetzlich zu etablieren. Kannst du uns erzählen, wann das das letzte Mal der Fall war, und wie es damals ablief?
MS: Das erste Mal, als ich daran beteiligt war, das waren die Jahre 2003-2005. Da wurde mal wieder das Betreuungsrecht geändert. Und dann haben die, nachdem das erste Mal alle Verbände das gesehen hatten, noch so einen Passus da reingeschmuggelt mit der ambulanten Zwangsbehandlung. Die haben das gar nicht so zum Thema gemacht, sondern das einfach noch so dabei geschrieben. Das hat damals der Rene Talbot entdeckt, und dann haben wir eben mit Hilfe der taz NRW – die gab’s damals noch – 'ne relativ große, fette Kampagne gemacht und haben sowohl in NRW vor dem Justizministerium demonstriert als auch in Berlin. Wir haben sehr viele Politiker angeschrieben, sehr viele Presseleute. Und das Ergebnis im Bundestag war dann, dass sich glaube ich alle Parteien dagegen ausgesprochen haben.
Und dann haben die im Nachgang noch versucht, das im Bundesland Bremen zu etablieren, aber das haben wir dann auch verhindert.
Man muss sagen, dass einige Profis, die noch ein Gewissen haben, uns dabei auch unterstützt haben.
Das war also erstmal ein Gesetzgebungsverfahren im Bundestag. Das war auch vor der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die ja erst 2008 stattfand…
Ja, wobei: Die wird ja sowieso ständig missachtet.
Die BRK hat also damals noch keine Rolle gespielt.
Nein, das war noch kein Argument. Das Hauptargument ist: Der Eingriff in den Körper gegen den Willen ist ein sehr massiver Eingriff in die Grundrechte. Wenn du das Grundgesetz ankuckst: In 1 ist die Würde des Menschen, die unantastbare. In 2 gibt es ein Recht auf Leben, Freiheit der Person und körperliche Unversehrtheit. Also es wird da in ein sehr fundamentales Recht eingegriffen. Und da ja unsere Justiz keine Körperstrafen mehr kennt – also wir schneiden keine Hände ab – und auch keine Todesstrafe kennt, ist eigentlich der Entzug der Freiheit so das härteste Mittel, das der Staat gegen ein Individuum hat. Schon diese Zwangsbehandlung, die stationär stattfindet, ist 'ne Sache, die es anderswo gar nicht gibt. Egal, wieviele Menschen du umgebracht hast: du wirst nicht gefoltert. Aber wenn du psychisch krank bist, dann wirst du selbstverständlich gefoltert, und man nennt es Hilfe. Bis du von deiner verkehrten Sicht auf die Welt ablässt.
Wie beurteilst du denn die aktuelle Situation im Vergleich zu damals? Damals haben wir mit dieser großen Kampagne und Unterstützung – du hast die taz NRW genannt - ja Erfolg gehabt. Jetzt ist es 20 Jahre später. Was hat sich geändert? Was gibt es vielleicht für neue Herausforderungen, oder vielleicht auch neue Bündnisse?
Was sich geändert hat ist: Die Gesellschaft ist sehr weit nach rechts gerückt. Das ist für Leute, die am Rand der Gesellschaft stehen, keine gute Entwicklung, prinzipiell nicht. Die kritische Haltung gegenüber irgendwelchen Maßnahmen, die von Seiten des Staates kommen, ist auch sehr viel kleiner geworden in großen Teilen der Bevölkerung, und in großen Teilen der Politik, das ist ungünstig.
Die Gesellschaft ist viel psychiatriehöriger geworden, in den letzten 30 Jahren. Diese Idee, dass der Arzt schon weiß, was mit dir los ist.
Was jetzt noch anders ist: Es gibt noch keinen Gesetzesentwurf. Sie loten im Vorfeld aus, wie die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen dazu stehen. Das zeigt ja, dass sie zumindest Widerstand für möglich halten, nicht? Wenn es eine Sache wäre, die von einem ganz breiten Konsens getragen wird, dann braucht man da nicht im Vorfeld Veranstaltungen machen wie die in Zwiefalten.
Ich meine, das ist ein ewiger Kampf. Die Psychiatrie versucht eben, die Psychiatrisierten, soweit es eben geht, zu entrechten. Ähnliche Kämpfe laufen auch zwischen Unternehmern und Angestellten ab. Und falls es eben eine kritische Selbsthilfe gibt, versucht die das zu verhindern oder sogar umzudrehen. So ist das einzuordnen. Die Psychiatrie ist süchtig nach Gewalt, weil sie eben überhaupt keine Lösungsansätze zu bieten so. Das ist ja häufig so: wenn Menschen nichts mehr anderes einfällt, dann werden sie gewalttätig. Das ist also auch in diesem Fall das Muster.
Und es gibt ein sehr starkes Motiv, diese Sache voranzutreiben. Es werden Tausende, vielleicht sogar schon Zehntausende, illegal bereits zwangsbehandelt. Es gibt sehr viele Psychiatrieerfahrene, die gegen ihren Willen in der Wohnung oder im Heim diese körperschädigenden und seelenschädigenden Drogen nehmen und denen suggeriert wird, sie müssten das tun. Es geht bei diesem Gesetzentwurf auch um die Verdeckung von Straftaten, bzw. die Legalisierung von Sachen, die jetzt noch strafbar sind. Das machen die natürlich nur mit Leuten, die dermaßen fertig sind eben, dass von denen überhaupt keine Gefahr droht. Niemand wird diese Leute ernst nehmen. Kein Gericht wird denen recht geben, wenn sie sagen, ich bin genötigt und bedroht worden.
Das ist dann der informelle Zwang...
Sie nennen das "informeller Zwang", aber eigentlich muss man es illegalen Zwang nennen. Das sind Straftaten, die aber natürlich nicht verfolgt werden, weil das Machtgefälle so riesig ist. Das kennt man ja auch aus anderen Bereichen. Was Erwachsene mit Kindern machen, das hat oft keine Folgen. Früher war Männergewalt völlig straffrei, auch wenn im Strafgesetzbuch was anderes stand. Das ist eben ein Zeichen, dass das Machtgefälle derart extrem ist, dass sich eine Seite alles erlauben kann, aber natürlich hat sie es auch lieber, wenn sie keine Gesetze brechen muss, und sich dann die Gesetze so zu reformen. Das ist in meinen Augen die Haupttriebfeder: das bisher Illegale legal machen.
Was siehst du denn als unsere stärkste Strategie?
Naja, wir haben ja die Akteure in der Sozialpsychiatrie angesprochen. Wir haben die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie angesprochen, die ja teilweise ganz fortschrittliche Ansichten hat. Also es wird damit stehen und fallen, wie sich die Psychiatrie-Profis positionieren. Wenn die einheitlich sagen „Das ist ´ne gute Sache“, dann wird der Politik völlig egal sein, was die Betroffenen wollen. Das ist ja auch sonst so. Es ist völlig egal, was die Mieter wollen, solange die Vermieter das kriegen, was sie haben möchten. Und da sind wir jetzt zugange... In der DGSP gibt es Signale, dass sie sich dagegen aussprechen. Aber die anderen, die warten ab. Wenn die DGSP sagt, „das finden wir nicht gut“, werden auch so und so viele anderen sagen: „Nee, das sehe ich auch so wie die DGSP.“ Das ist so der Dreh- und Angelpunkt. Da haben wir auch mit Leuten geredet und gesagt: „Das ist wichtig, dass ihr euch positioniert.“ Denn die Leute machen alles mit, wenn irgendjemand vorprescht. Solange der Mensch der Meinung ist, da ist ´ne breite Masse, die das auch so sieht, dann laufe ich mit der breiten Masse mit. Sehr erschreckend, aber das ist leider die Wirklichkeit.
Du hast ja angesprochen, dass es in anderen gesellschaftlichen Machtgefällen ähnliche Strukturen gibt. Gibt es da auch Ansätze, auf breite Solidarität unter anderen ausgegrenzten Gruppen zu setzen und dort Bündnisse zu suchen?
Naja, selbst die Psychiatrieerfahrenen haben ja Schwierigkeiten, sich klar gegen solche Sachen zu positionieren. Also da muss man jetzt nicht hoffen, dass andere Gruppen das erledigen, was man selber nicht erledigt.
Danke an Matthias für das Interview!